Kritik zum Konzert am 29. Juni 2002


Erschienen in den Dresdner Neusten Nachrichten


Herausforderung und Genuss - Neue Cellomusik mit Matthias Lorenz

Die Unermüdlichkeit, mit der Matthias Lorenz auf die Suche nach interessanten Werken für sein Instrument geht, ist beeindruckend. So kann man in jedem seiner Soloabende neue Stücke entdecken - oder Stücke neu entdecken. Zugleich versteht er es, seine persönliche Sichtweise auf die Musik in seinen Einführungen unschematisch, aber konzentriert darzustellen; im jüngsten Konzert in der Blauen Fabrik entstand dadurch fast eine Hauskonzert-Atmosphäre, doch ohne den Beigeschmack eines elitären Zirkels. Zudem war das Programm genau abgestimmt: ein Klassiker der Avantgarde und drei Werke junger Komponisten, die sich der "neuerlichen Bedeutung des Cellos in der Neuen Musik" (B.A. Zimmermann) allesamt bewusst sind.

Athanasia Tzanous "Quintus II" ging sofort zur Sache - ein aufgeladener, stellenweise zerfahrener Monolog, in dem einige wenige zart melodische Einschlüsse aufleuchten, die "normale" Klangerzeugung jedoch über weite Strecken dominiert. Eine Stufe heftiger noch "Solo" von Jörg Birkenkötter, das als Perpetuum mobile beginnt, doch zunehmend von Stockungen durchsetzt wird. Hinter der beinahe anfallartigen Expressivität steckt ein kühl auskomponiertes Nachdenken über das Wesen des Streichinstruments an sich, Bogengeschwindigkeiten und Greifhandbewegungen. Dass Matthias Lorenz dieses Stück so gut kennt, dass er es auswendig beherrscht, ist schon außergewöhlich; noch mehr sprach für die Interpretation, dass er es dennoch spontan bis fast an die Grenze des Kontrollverlustes zu gestalten wusste.

Äußerlich ruhiger und noch konzentrierter erschien Alfred Holzhausens "NCG 7027". Obschon ein galaktischer Nebel für das Stück titelgebend ist, handelt es sich nicht um esoterischen Meditationswust. Lorenz ging die langgezogenen Bögen aus farblich fein differenzierten Liegeklängen denn auch bewusst rauh und körnig an.

Dass Helmut Lachenmanns "Pression" am Ende des Konzerts stand, war folgerichtig, da das Stück in seinem Gehalt ein wenig den roten Faden des Programms bildete. Hier (1969) wurde wohl zum ersten Mal konsequent angedeutet, was das Cello an Reichtum in Klang- und Geräuschspektren bereithält. Das erschreckt nicht mehr, ist aber fordernd geblieben und enthält überraschende Interpretationsperspektiven - in Lorenz' Darstellung schienen gerade die feinen, leichten, spielerischen Aspekte des Werkes in den Vordergrund zu rücken, so dass "Pression" den gelungenen Abschluss für ein Konzert bildete, das Herausforderung, Anregung, Unterhaltung und Genuss neuer Musik überzeugend kombinierte.

Benjamin Schweitzer


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